Reformationsempfang des Kirchenkreises in der Elisabethkirche

Weniger, anders, besser
Uwe Becker referiert beim Reformationsempfang über das Hungerparadox
„Der Arme hat nichts denn ein wenig Brot, wer ihn darum bringt, der ist ein Mörder.“ Mit diesem Bibelzitat (Jesus Sirach 34, 25-27) setzte Uwe Becker, Beauftragter der Hannoverschen Landeskirche für Brot für die Welt, gleich zu Beginn seines Vortrages in der Elisabethkirche einen starken Akzent. Becker war einer Einladung durch Martin Bergau zum Reformationsempfang des Kirchenkreises gefolgt, der traditionell am Freitag vor dem Reformationstag stattfindet. Rund 200 Gäste aus Kirchenkreis und Kirchengemeinden, Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Kultur waren der Einladung gefolgt und hörten Beckers Vortrag unter dem Titel „Das Hungerparadox“. Vielfältige Hintergründe des weltweiten Hungers wurden darin ebenso beleuchtet wie politische, gesellschaftliche und individuelle Ansätze zur Lösung des Problems. Musikalisch begleitet wurde der Empfang von Musikern aus dem Partnerkirchenkreis Odi in Südafrika – sie erhielten minutenlangen Applaus für ihre Bläserstücke ebenso wie für a capella gesungene Lieder ihrer Heimat. Zum Mittanzen ließen sich die Zuhörer in der Elisabethkirche zwar nicht bewegen, dennoch hatten sie ihre Freude an den mitreißenden Rhythmen.
Allein durch die Getreide- und Kartoffelernte der Welt könnten alle Menschen dieser Erde ausreichend ernährt werden, führte Uwe Becker aus; rein rechnerisch stünden für jeden Menschen täglich 800 Gramm Getreide zur Verfügung. Allerdings komme von allen weltweit erzeugten Lebensmitteln nur ein Teil tatsächlich auf den Tellern der Menschen an – 53 Prozent der erzeugten Nahrungsmittel werden zu Futtermitteln, Treibstoff oder industriellen Produkten verarbeitet, oder sie verderben und gehen so verloren. „Auch in Deutschland werden pro Jahr und Mensch 81 Kilogramm Lebensmittel weggeworfen, gleichzeitig gibt es 900 Tafeln, die die Menschen mit Nahrungsmitteln versorgen“, so Uwe Becker.
Neben dem Verlust großer Mengen von Lebensmitteln spiele die Struktur der heutigen Landwirtschaft eine große Rolle, ist Uwe Becker überzeugt, nannte dazu ein Beispiel, das die paradoxe Situation eindringlich beleuchtet: Auf riesigen Flächen im lateinamerikanischen Paraguay wird von Mennoniten und US-amerikanischen Agrarkonzernen Soja angebaut; inmitten dieser gigantischen Flächen gibt es bitterarme indigene Siedlungen. Die Sojaernten werden unter anderem nach Deutschland exportiert und hier als Rinderfutter verwendet; die Milch der Kühe wiederum wird zu Butter verarbeitet und nach Paraguay verkauft. Die indigene Bevölkerung allerdings ist finanziell nicht in der Lage, diese Butter zu kaufen – sie hungert inmitten der Sojafelder. „Und dieser Kreislauf soll den Hunger der Welt bekämpfen? Sicher sind Sie mit mir einer Meinung, dass das jeder Logik entbehrt“, stellte Uwe Becker fest. Er ist überzeugt davon, dass die industrielle Landwirtschaft in ihrer heutigen Form nicht in der Lage ist, die Weltbevölkerung zu ernähren: „Trotz der gigantischen Erträge dieser Landwirtschaft werden heute 80 Prozent der Weltbevölkerung von Kleinbauern ernährt.“
80 Prozent aller hungernden Menschen leben auf dem Lande, 20 Prozent in den Städten; wer Hirte, Kleinbauer, Landarbeiter, Fischer, Frau oder Kind ist, ist weltweit besonders häufig dem Hunger ausgeliefert. Die sogenannte Bevölkerungsexplosion lässt Uwe Becker dabei nicht als Erklärungsmodell gelten: Ein durchschnittlich lebender Mensch in Indien, dessen Bevölkerung aus unserer Sicht „explodiert“, verbraucht 30 Mal weniger Ressourcen als ein Europäer oder US-Amerikaner.
Die Lösung des weltweiten Hungerproblems liege in den Worten „weniger, anders, besser“ ist der Brot-für-die-Welt-Beauftragte überzeugt: in einer Landwirtschaft, die weltweit weniger belastend, kostengünstiger, nachhaltiger und leistungsfähiger arbeitet; in einer Politik, die das Menschenrecht auf Ernährung umsetzt und ihre Agrarförderung konsequent anders ausrichtet; in einer Gesellschaft, die den Wert und die Kultur des Essens neu diskutiert und definiert. „Wir brauchen in Kirche und Gesellschaft eine Diskussion über den Wert der Nahrung“, so Beckers Plädoyer. „Wenn wir uns dieses Wertes nicht bewusst sind, lassen wir uns jeden Dreck andrehen.“ Auch für jeden Einzelnen gelte „weniger, anders, besser“: 50 Prozent weniger Fleisch essen, dafür 100 Prozent mehr bezahlen; regional, saisonal, ökologisch und fair einkaufen und essen.
Andrea Hesse / Öffentlichkeitsreferentin