Die Fenster

Großes Südfenster der Elisabethkirche (Ausschnitt)

Am 1. Advent des Jahres 1994 wurden die zwei Jahre zuvor aufgenommenen umfangreichen Renovierungsarbeiten an der Elisabethkirche mit einem Festgottesdienst abgeschlossen.

Ein wesentlicher Bestandteil der Arbeiten war der Austausch der 1956/57 eingesetzten Fenster, deren Bleiverglasung durchlässig geworden war, sodass oft Regenwasser in größeren Mengen eindrang.

Nachdem Professor Johannes Schreiter 1993 dem Kirchenvorstand Entwürfe zu neuen Fenstern vorgestellt hatte, und diese dem größten Teil seiner Mitglieder zusagten, entschied der Kirchenvorstand, Professor Schreiter und der Glasmalerei Derix in Taunusstein die Fenster in Auftrag zu geben. Bei einer Versammlung im Herbst 1993 wurden die Entwürfe der Gemeinde vorgestellt.

Der Auftrag umfasste neben den 19 großen Fenstern im Chor, im Kirchenschiff und im Querhaus auch die 25 kleinen Spitzbogenfenster in den beiden Eingängen, den Seitenschiffen, im Chorumgang und in der Sakristei.

 

Leben und Werk von Johannes Schreiter

 

Zur Person

Am 8. März 1930 in Annaberg-Buchholz/Erzgebirge geboren, floh Johannes Schreiter nach seinem Abitur im Jahr 1949 aus der damaligen DDR nach Greven in Westfalen. In den Jahren 1949 bis 1957 studierte er in Münster, Mainz und Berlin bildende Kunst und erhielt anschließend ein Stipendium der Friedrich-Ebert - Stiftung in Bonn.

1959 erfand Schreiter die Brandcollagen (s. unten), die später zum Teil auch als Motiv in den Glasbildern auftauchten. Von 1960 bis 1963 leitete Schreiter die Abteilung „Fläche“ an der Staatlichen Kunstschule in Bremen, bevor er von 1963 bis 1987 eine Professur für freie Malerei und Grafik an der Staatlichen Hochschule für bildende Künste (Städelschule) in Frankfurt inne hatte, deren Rektor er von 1971 bis 1974 war.

Mitte der 70er Jahre verlagert sich der Schwerpunkt seines Schaffens von den Brandkollagen und Schwarzweißzeichnungen auf die architekturbezogene Glasmalerei. 1974 wurde Schreiter Preisträger der Ausstellung „Europäische Grafik der Gegenwart“ in Salzburg, 1977 erhielt er den Philip-Morris-Preis für Malerei und 1979 das Bundesverdienstkreuz. 2005 bekam Professor Johannes Schreiter die theologische Ehrendoktorwürde der Universität Heidelberg verliehen und die goldene Ehrenplakette seiner Heimatstadt Langen.

Schreiter war als Gastdozent an Universitäten in England, USA, Kanada, Australien und Neuseeland tätig und hat weltweit seine Kunst gezeigt. Im Jahr 2008 veröffentlichte der Künstler unter dem Titel «Wortfenster» eine zweibändige Publikation, die mit kunstwissenschaftlichen Aufsätzen, Essays und Vorlesungen Einblicke in seine Gedankenwelt gibt. Dieses umfangreiche theoretische Werk weist Schreiter als Querdenker und Kulturkritiker aus. [1]

 

Sein Werk

Johannes Schreiters künstlerische Laufbahn begann spektakulär. Auf der Suche nach seinem eigenen Stil schuf er 1958 die ersten Brandkollagen. An Papier und Leinwand ließ er Feuer wüten. Im Material bildeten sich feine schwarz-braune Abstufungen, aber auch martialische Löcher – Symbol für die Vergänglichkeit des Lebens. Schreiter erweiterte damit die Möglichkeiten der abstrakten Kunst und eröffnete ihr einen neuen inhaltlichen Horizont. Durch das Sengen und Verbrennen entstanden Papierarbeiten, die einen neuen Bildtyp darstellten, eine Bildsprache, die der Künstler später in der Glasmalerei fortführte: Das Fragile, Fragwürdige, Brüchige der menschlichen Existenz und damit die Heilsbedürftigkeit des Individuums ließen sich auf diese Weise eindrucksvoll ins Bild setzen. [2]

Anfang der 60er Jahre kommt Schreiter dann zum ersten Mal mit dem Werkstoff Glas in Berührung. Die Bleiruten, die in der klassischen Fenstermalerei die einzelnen Glasstücke zusammenhalten, interpretiert er nun völlig neu. Sie werden zu einem künstlerischen Mittel des Ausdrucks; wie Lebensadern ragen die Linien aus Blei ins Bild, scheinen wie Risse im Vorhang des Lichtes.

Glas wird zu seinem Medium. Bekannt wurde Schreiter u.a. mit seinen umstrittenen Entwürfen für die Fenster der Heiliggeistkirche in Heidelberg. Der Künstler wollte in den ehrwürdigen Sakralbau moderne Motive einsetzen, die vielen Zeitgenossen zu offensichtlich weltlich erschienen. Er plante u.a. ein Physik-Fenster, ein Ökonomie-Fenster, ein Medizin- und ein Philosophie- und Kultur-Fenster. Gezeigt werden dort die Aufzeichnung des Herzschlags bei einem sterbenden Menschen, der Aufbau des menschlichen Erbguts und eine detonierende Atombombe. Über Jahre zog sich der „Heidelberger Fensterstreit“ in die Länge und endete mit einem ablehnenden Beschluss des Kirchengemeinderats. Von den 12 künstlerischen Entwürfe Schreiters wurde nur der des Physik-Fensters an dem dafür vorgesehenen Ort realisiert.

1983 geriet Johannes Schreiter in eine tiefe Krise und erkrankte schwer. Er gab seine Kunstprofessur in Frankfurt auf und sein Freund und Weggefährte Sundermann sagte über ihn: „Er war in eine tiefe Lebenskrise geraten. Ängste, Todesängste quälten ihn. Die Angst des Ausgeliefertseins, die er in seiner Kunst zu bewältigen suchte, holte ihn nun selbst ein. Sein Lebensentwurf verbrannte. Kunst und Leben wurden zu einer schrecklichen Einheit.“ [3]

Dann kam der Wandel in Schreiters Leben. Eine tiefgreifende Umkehr zu Christus Jesus hatte Folgen für seine Kunst. 1988 - wieder genesen, nachdem alle Ärzte ihn schon aufgegeben hatten - wurden die Brandcollagen Geschichte. „Die Farben (in seinen Glasbildern) hellen sich auf, das Gelb des Sonnenlichts drängt in den Vordergrund, das Blau gewinnt erneut an Leuchtkraft. Das Weiß, das alle Farben in sich enthält, das früher „Abwesenheit“ von Farbe zu signalisieren schien, wird immer wichtiger. Es wird Medium, Transzendenz anzuzeigen. Es wird die Farbe des Reiches Gottes, die Farbe des Evangeliums, das den Menschen Rettung und Erlösung zuspricht.“ [3]

Schreiter verzichtet in seinen Bildern auf christliche Metaphorik und die Illustrierung von Heilsgewissheiten mit herkömmlichen Symbolen. Aber es geht ihm dabei nicht um Selbstzweck, um eine formale Auseinandersetzung oder gar eine Ausschmückung der Lebenswelt mit Ornamenten. Er macht immer wieder deutlich, dass seine Werke - und das ist bei den Glasfenstern besonders gut zu erkennen – vom Sichtbaren zum Unsichtbaren führen, von der wahrnehmbaren Realität zur geistigen Wirklichkeit, vom irdischen Schein zum göttlichen Sein. Schreiters Glaskunst ziert Gebäude überall auf der Welt - keineswegs nur Kirchen -  und wer mit Glas arbeitet, arbeitet mit dem Licht. Das macht Johannes Schreiter zu einem Lichtkünstler, dem es weniger um die Helligkeit des Raumes geht, als vielmehr um das Erkennen, Erhellen und Erleuchten unserer Innenwelt.

Seine Texte, seine Bilder - natürlich auch die Glasmalereien - will Schreiter als eine Rühmung Gottes verstanden wissen. So unterschreibt er seine Entwürfe mit S. D. G. („Soli Deo Gloria“). Zur Ehre Gottes will er arbeiten. [1]

 

[1]  vgl. Gunther Sehring, „Zur Einführung“, in: Wortfenster, Bd. 1.

[2]  vgl. „Der in der Welt verborgene Gott“, F.A.Z. Rhein-Main vom 07.03.2010, zum 80. Geburtstag des Glasbildkünstlers Johannes Schreiter.

[3]  Theo Sundermeier, Laudatio auf Prof. Johannes Schreiter (16. Februar 2005) anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde der Theologischen Fakultät der Universität Heidelberg.

 

 

Zur Information der Gemeinde über die neuen Fenster diente ein zum Festgottesdienst am 1. Advent 1994 von Dr. Albrecht Hahn, einem Mitglied des Kirchenvorstandes,  verfasstes Faltblatt:  „Die neuen Fenster der Elisabethkirche in Langenhagen“.

 Das Blatt gibt Anregungen zum Umgang mit den für viele gewöhnungsbedürftigen Fenstern und Hilfen zum Einfühlen in die Aussage einiger besonderer Bilder in den Fenstern über dem Altar, im Querhaus und in zwei Fenstern im hinteren Kirchenschiff.

Der Text der hier zum Download bereitgestellte Datei lehnt sich an den Wortlaut dieses Faltblattes an. Statt der kleinen Skizzen des Grundrisses der Kirche mit Eintrag der Position dieser Fenster, wurden dunkel maskierte Bilder der Fenster in den Text eingefügt.

 

Weitere Informationen über die Fenster der Elisabethkirche – besonders über die früheren Fenster – können Sie der hier zum Download bereitgestellten weiteren Datei entnehmen.
Diese Datei gibt auch den Text der Ansprache wieder, die Professor Schreiter im Anschluss an den Festgottesdienst am 1. Advent 1994 an die Gemeinde richtete.