Ein besonderes Ehrenamt für Kantor Arne Hallmann

Der Glockenspieler der Aegidienkirche

Immer wieder genießt Arne Hallmann den Blick vom Turm der Ruine am Rand der hannoverschen Altstadt.

Arne Hallmann erinnert sich noch genau an das Gespräch: Anfang 2020 kletterte er gemeinsam mit Lothar Mohn, damals Kirchenmusikdirektor in Hannover und Kantor an der Neustädter Hof- und Stadtkirche, die Stufen zum Turm der Aegidienkirche empor. Zwei der insgesamt 25 Bronzeglocken, die dort zu einem Glockenspiel gehören, waren defekt und Mohn wollte nachschauen, was sich tun ließe.

„Auf dem Weg nach oben sagte mir Lothar Mohn, dass er bald in den Ruhestand gehen und sich dann auch nicht mehr um das Glockenspiel kümmern würde“, erzählt Hallmann, Kirchenmusiker an der Elisabethkirche in Langenhagen und im Kirchenkreis Burgwedel-Langenhagen. Ob Hallmann nicht Lust habe, seine Nachfolge anzutreten und zukünftig das Glockenspiel zu betreuen, fragte Mohn – und freute sich wenig später über Hallmanns positive Antwort.

„Wir kennen uns seit meinen Studienzeiten und sind seither immer in losem Kontakt geblieben“, erzählt Hallmann. So vertrat er den Kirchenmusikdirektor 2019 für einige Monate und saß auch bei der Einweihung der neuen Orgel in der Neustädter Kirche am Spieltisch. Darüber hinaus gibt es noch eine weitere Verbindung des Langenhagener Kirchenmusikers zu seinem neuen Ehrenamt: Die Orgel der Martinskirche im Langenhagener Stadtteil Engelbostel, auf der Hallmann schon häufig spielte, gehörte bis zum Ende des 19. Jahrhunderts zur Aegidienkirche und wurde dann nach Engelbostel verkauft. „Das ist für mich eine besondere Verbindung: Ich weiß, dass das Instrument an der Stelle stand, an der ich jetzt das Glockenspiel bediene“, sagt der Kirchenmusiker.

Die aus dem 14. Jahrhundert stammende Aegidienkirche am östlichen Rand der Altstadt von Hannover wurde 1943 durch Bombenangriffe zerstört und nach dem Krieg nicht wieder aufgebaut. Ihre Ruine ist heute ein Mahnmal für alle Opfer von Krieg und Gewalt. Das Glockenspiel wurde 1958 auf den noch vorhandenen Teil des Turmes aufgesetzt; es besteht aus einer Kaskade von 25 Bronzeglocken, die in der Gießerei Schilling in Heidelberg angefertigt und in chromatischer Tonfolge gestimmt wurden. Die Glocken werden mit Magnethämmern, die mit der Spielkabine im ersten Stock des Turmes verbunden sind, angeschlagen. Seit 1988 ist die Anlage computergesteuert und wird mit einem Keyboard gespielt.

Täglich viermal, um 9.05 Uhr, 12.05 Uhr, 15.05 Uhr und 18.05 Uhr erklingt das Glockenspiel; üblicherweise ist Arne Hallmann zu diesen Zeiten aber nicht in der Spielkabine zu finden. „Das Glockenspiel kann zwar direkt gespielt werden“, erklärt er. „Meistens werden die Musikstücke aber aufgenommen und, orientiert am Kirchenjahr, computergesteuert an die Glocken weitergegeben.“ Eine lange Reihe von kirchlichen und weltlichen Liedern hat Lothar Mohn bereits aufgenommen – von „Tochter Zion“ über „Kein schöner Land“ bis hin zu „Die Gedanken sind frei“.

25 Bronzeglocken gehören zum Glockenspiel im Turm der Aegidienkirche. Foto: Arne Hallmann

Mittlerweile hat auch Hallmann erste Lieder neu eingespielt und dabei eine kleine Überraschung erlebt: „Ich musste einiges ausprobieren um festzustellen, wie die Glocken klingen und ob vielleicht noch Änderungen am Arrangement nötig sind“, erzählt er. Noch während er im Turm der Aegidien-kirche saß, klingelte dann sein Handy und das Sekretariat des Stadtsuperintendenten rief an: Einige Menschen hatten sich über die ungewohnten Töne außerhalb des üblichen Rhythmus‘ gewundert und nachgefragt, ob denn das Glockenspiel kaputt sei. „Das hier ist kein Klavier im Wohnzimmer, sondern ist in der ganzen Innenstadt zu hören“, rief sich Hallmann daraufhin noch einmal ins Gedächtnis.

Als Kirchenmusiker ist Hallmann es seit seiner Jugend gewohnt, zum Üben alleine in einer dunklen und oft auch kalten Kirche an der Orgel zu sitzen; das Alleinsein im Turm der Aegidienkirche macht ihm daher wenig aus. Vielmehr nimmt er den Blick aus dem Fenster in den Innenhof der Ruine auch nach ein paar Wochen noch als berührend wahr: „Das ist ein besonderer, nachdenklich stimmender Ort, der durch das Glockenspiel wieder etwas Lebendiges und Heiteres bekommt.“

Zukünftig möchte der Glockenspieler der Aegidienkirche rund um die alten Bronzeglocken auch neue Verbindungen herstellen: „Ich kann mir ein Projekt mit Schulklassen oder Konfi-Gruppen vorstellen, die Musikstücke speziell für das Glockenspiel vertonen könnten.“ Natürlich gebe es dabei Hilfestellung und auch das Einspielen der Stücke würde Hallmann übernehmen; dafür würden dann die Komponistinnen oder Arrangeure auf der Webseite der Aegidienkirche genannt. Und auch das Publikum wäre ihnen sicher: „Viele Menschen bleiben stehen, um dem Glockenspiel zuzuhören, und ich habe sogar einen Mann kennengelernt, der den gesamten Spielplan im Kopf hat“, erzählt Arne Hallmann.

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